Artikel aus FORUM 17, Juni 2002 , Seite 16 ff

Ein Reha-Teilnehmer schreibt aus Bad Grönenbach einen Brief an seine häusliche Umgebung, in dem er offen, ehrlich und humorvoll seine Hörbehinderung schildert und erklärt. Ein Brief, der zum Lesen und Weitergeben einlädt.

Offener Brief von Bernhard Piechota, Lutzerath

 

 "Liebe Angehörige, Freunde und Bekannte…"

… einigen ist vielleicht schon aufgefallen, dass ich Euch mitunter schlecht oder falsch verstehe, manchmal sogar überhaupt nicht höre. Auf den Punkt gebracht, das liegt daran:

Ich bin schwerhörig!

Schwerhörigkeit ist eine Behinderung, mit der ich leben muss, weil sie nicht zu reparieren ist. Das musste ich erneut in diesen Tagen in einer Klinik für Hörbehinderte im Rahmen einer Reha-Maßnahme erfahren. Ich habe hier in Bad Grönenbach aber auch gelernt, dass ich mir das Leben als Schwerhöriger mit ein paar "Tricks" erleichtern kann. Und dabei könnt Ihr mir, liebe Angehörige, Freunde und Bekannte, ein wenig helfen - insbesondere auch wenn Ihr etwas Verständnis für meine Situation aufbringt. Dazu sollen die folgenden Informationen beitragen.

Der eine oder andere hat sicher schon einmal "merkwürdige" Verhaltensweisen bei mir erlebt:

Dieses waren nur einige Beispiele, die sich beliebig ergänzen lassen. Ich will nun versuchen, in wenigen Worten mein Problem zu schildern.


Auf beiden Ohren kann ich hohe Töne nicht mehr oder nur noch ganz schwach hören. In den Bereichen, wo ich nur schwach höre, kann das Hörgerät einspringen und genau diese Töne verstärken, so dass ich sie nahezu normal empfinde. Töne, die ich gar nicht höre, kann auch das Hörgerät nicht mehr herzaubern. Zudem plagt mich ein ständiger Pfeifton. Die Folge ist:

Wenn ich Euch trotzdem meistens einigermaßen verstehe, dann liegt das daran, dass ich mir als erfahrener Mensch aus den Bruchstücken und in Kenntnis des Gesprächsthemas den Inhalt "zusammenbasteln" kann. Das geschieht folgendermaßen:

Das liegt also im Allgemeinen nicht daran, dass ich begriffsstutzig wäre, sondern ist eher eine Folge der zusätzlichen Schritte, die in meinem Kopf nur für den Vorgang "Hören" zu durchlaufen sind. Ein Normalhörender hört in einem einzigen Schritt und kann danach sofort mit der "Verarbeitung" beginnen.

Während meiner Reha-Maßnahme habe ich ein griffiges Beispiel gehört: Ein Simultandolmetscher, der in seiner Kabine einen Vortrag übersetzt, wird nach einer halben Stunde abgelöst, weil er erschöpft ist und eine Pause braucht. Er muss "nur übersetzen", muss also nicht einmal den Inhalt verstehen. Ich muss übersetzen und verstehen! Da kann mich auch schon mal eine ausgelassene Feier in großem Kreise bereits nach einer Stunde an den Rand der Erschöpfung bringen. Aus dem gleichen Grund muss ich mitunter auch bei dienstlichen Besprechungen oder Konferenzen eine "Auszeit" nehmen.

Ich muss also erst einmal alles, was ich höre, "aufbereiten", bevor ich es "verarbeiten" kann. Und dieser Prozess kann dann auch schon mal schief gehen:

Das alles ist nun einmal so und nicht zu ändern. Ich will mich auch nicht in mein stilles Kämmerlein vergraben und jeglichen Begegnungen mit Euch aus dem Wege gehen. Das wäre zwar ein Ausweg, aber nicht für mich! Ihr kennt mich eher als geselligen Menschen, und der will ich auch gerne bleiben - allerdings zwangsläufig nur im Rahmen meiner Möglichkeiten. Und dazu brauche ich Eure Hilfe und vor allem Euer Verständnis.


Wie könnte eure Hilfe konkret aussehen?

Ich will abschließend nicht verschweigen, dass Schwerhörigkeit mitunter auch sehr vorteilhaft sein kann:

Ihr seht, ich trage meine Behinderung auch mit Humor. Ich meine, so kann man einfacher damit leben.

Und übrigens: Meine Reha-Maßnahme in Bad Grönenbach war für mich auch deswegen eine ganz besondere Erfahrung, weil ich feststellen musste, dass es mir gemessen am Schicksal anderer Patienten noch "saumäßig" gut geht. Ich höre immerhin noch so viel, dass ich mir das Nichtgehörte einigermaßen zusammenreimen und mit Hörgerät sogar noch Musik genießen kann. Nach dem, was ich hier in der Klinik gesehen und erlebt habe, weiß ich diese "komfortablen Restfähigkeiten" ganz besonders zu schätzen.