Einer trage des Anderen Last

Wie hat man mir – abgesehen von den praktischen Hilfen des deutlichen Sprechens – denn überhaupt geholfen?

In der Gemeinschaft mit anderen Schwerhörigen habe ich erfahren, dass auch sie diese Trauer erleben. Dieser Austausch stärkt mich, weil es mir leichter gelingt, den Verlust einzuordnen und zu akzeptieren. Hier empfinde ich meine Behinderung ja auch nicht als Schwäche oder Last, den Anderen geht es doch genauso.

Andere Schwerhörige in ähnlicher Lage kannte ich damals jedoch noch nicht, lebte ich ja ausschließlich in der Gesellschaft von Normalhörenden. In Gesprächen mit ihnen ging ich dem Thema „Schwerhörigkeit“ möglichst aus dem Weg.

Es war nicht nur die Scham, die mir die Lippen verschloss. Mir sträubten sich die Nackenhaare, ja ich war fast aggressiv, wenn ein Normalhörender mir Ratschläge oder Trost anbot. Es hatte für mich immer etwas Besserwisserisches und brachte mich schnell in Rage. Fühlte ich mich vielleicht minderwertig, mit einem Makel behaftet?

Die Familie und meine engsten Freunde gingen diesem Thema auch tunlichst aus dem Weg, sei es, dass sie sich hilflos fühlten, sei es, dass sie ahnten, dass ich es partout nicht wollte.
Je mehr Kraft mich dieses Dasein als Einzelkämpferin kostete, umso näher kam ich dann – im nachhinein betrachtet – meiner Lösung, ganz mutig ausgedrückt, meiner Heilung.
Ich konnte dann nämlich nicht länger die Fassade der Normalhörenden aufrecht erhalten, musste aufgeben, meine Schwäche zu verdrängen, zu verstecken.

Als meine Freundin mich in einem schönen Gespräch dann fragte, hoffnungsvoll fragte: “Aber Du kommst doch gut damit zurecht?“, brach es auf einmal aus mir heraus. Die Tränen strömten, und ich konnte nur noch den Kopf schütteln und stammeln „Nein, es ist so schwer.“ Sie sprang aus ihrem Stuhl auf und umarmte mich lange und fest, und ich merkte, dass auch sie weinte. Das war nach rund 12 Jahren Schwerhörigkeit das erste Mal, dass ich über den Verlust meines Gehörs weinte. Es tat so gut, das Mitgefühl zu spüren, gleichzeitig tat es mir so Leid, dass ich meine Freundin traurig machte.

Das zweite Mal, vor etwa zwei Jahren, probierte ich eine FM-Anlage zu Hause aus. Mein Mann war bei dem möglichen Kaufpreis sichtlich zusammengezuckt.

Dann hörte ich mir, was ich schon Jahre nicht mehr versucht hatte, im Fernsehen eine Musiksendung an. Lotti sang ein russisches Lied, und ich vernahm auf einmal Musik fast so, wie ich sie früher – als Normalhörende - einmal hören konnte. Es war eine unsagbare Freude, gleichzeitig schnitt das Bewusstsein des ungeheuren Verlusts tief in mein Innerstes, was ich doch so sorgsam vor mir und den Anderen verborgen hielt. Die Tränen liefen, mein Mann war fürchterlich erschrocken. Als ich schluchzte: “Das ist so schön.“, legte er seinen Arm um mich und brummelte: “Das Ding ist gekauft.

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